Bildquelle: © Andreas Gonseth

Muskelkrämpfe haben die meisten schon mal erlebt. Als Gegenmittel beginnt sich Essigwasser zu etablieren.

Ob bei einem Antritt auf dem Rad mitten in der Steigung, beim Bergablaufen kurz vor dem Zielstrich oder unvermittelt im Schlaf: Wohl alle Ausdauersportlerinnen und -sportler haben in ihrem Leben schon einmal einen Muskelkrampf erlitten und wissen, wie schmerzhaft und einschneidend das ist. Mit einem hartnäckigen Krampf ist an eine sportliche Leistung nicht mehr zu denken.

Die Gründe eines Muskelkrampfs sind bis heute nicht genau erforscht. Mitbeteiligt sind mechanische Überlastung durch zu hohe Intensität, zu lange Belastungsdauer, ungewohnte Sportarten oder Ursachen wie Hitze, Kälte, Flüssigkeits- und/oder Elektrolytmangel oder zu geringe Energiezufuhr. Oft spielen beim Entstehen von Krämpfen mehrere und sich kumulierende Faktoren eine Rolle, die sich zudem individuell unterschiedlich auswirken. Daher gibt es weder eine Rezeptur, wie Krämpfe zu verhindern sind, noch bislang ein Heilmittel, wenn sie plötzlich auftreten.

Als einzige «Therapie» bei einem Muskelkrampf gilt entweder eine starke Reduktion der Belastung, sprich das Herunterfahren des Tempos, oder die gänzliche Unterbrechung der sportlichen Leistung gefolgt von einer Dehnung der betroffenen Muskulatur. Im Kampf gegen Sekunden keine befriedigende Lösung.

Neuronales Signal ans Gehirn

Neue Hoffnung für krampfgebeutelte Sportlerinnen und Sportler verspricht Essiggurkenwasser. Bereits vor einigen Jahren hat eine US-amerikanische Studie festgestellt, dass die essighaltige Flüssigkeit herkömmlich eingelegter Gurken die Krampfdauer bei Sportlern deutlich verkürzen konnte. Und dies interessanterweise nicht nur dann, wenn das Gurkenwasser getrunken wurde, sondern die Probanden konnten damit auch einfach den Mund spülen und erzielten praktisch die gleiche Wirkung.

Warum das saure Gurkenwasser die Krampfdauer verkürzt, ist nicht ganz klar. Die These lautet: Nicht wie früher angenommen Dehydratation oder Elektrolytmangel sorgten hauptsächlich für die unangenehmen Muskelkrämpfe, sondern ein fehlerhafter Rückenmarkreflex, der dazu führt, dass die Muskelaktivität nicht mehr optimal gesteuert werden kann und der Muskel zu stark kontrahiert.

Der Essig vermag diesen Reflex scheinbar zu überlisten. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Rezeptoren im Mund durch den sauren Geschmack des Essiggurkenwassers ein neuronales Signal ans Hirn übermitteln, wodurch die Muskulatur anders angesteuert wird und Krämpfe dadurch rasch wieder verschwinden oder gar nicht erst auftreten. Wissenschaftlich bewiesen ist die Theorie allerdings nicht.

Positive Rückmeldungen

Da im Sport der Erfolg von Produkten nicht zwingend davon abhängig ist, ob wissenschaftlich bewiesen oder nicht, sind als Folge der ersten Studien in den USA rasch kommerzielle Sportdrinks gegen Muskelkrämpfe lanciert worden, die ähnliche Ingredienzen wie Essiggurkenwasser aufweisen (beispielsweise Pickle Juice).

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Oft finden amerikanische Trends auch den Weg in die Schweiz, der Pickle Juice seinen konkret im Sportgepäck des früheren Triathleten Ruedi Wild. Als der Ironman-Athlet nach einem Trainingslager damit nach Hause kam und erzählte, dass das Produkt in den USA bei zahlreichen Sportlern sehr beliebt und wirksam sei, schaute sich Lebensmittelingenieur Remo Jutzeler die blasse Flüssigkeit etwas genauer an.

Forschung meets Experiment

Jutzeler, Chef Forschung und Entwicklung bei Sponser Sport Food, fand ausser Essig, Salz, Gurkensaft, Dill, Zink sowie Vitamin C und E keine weiteren Substanzen. Aber er begann nachzudenken, wie ein konkret in der Praxis einsetzbares Schweizer Produkt gegen Krämpfe sinnvollerweise aussehen könnte.

Aus älteren Studien wusste der Ernährungsspezialist, dass die Substanz Chinin bereits zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gegen neuromuskuläre Krämpfe eingesetzt wurde – eine zufällige Entdeckung aus der Anwendung gegen Malaria. Allerdings sind die hohen Dosierungen des Chinins wie in Medikamenten in Lebensmitteln nicht zugelassen. Und im Gegensatz zum sauren Essig schmeckt Chinin bitter – es ist der geschmackgebende Hauptbestandteil von Tonic Water.

Jutzeler begann mit Essig, Gurkensaft, Salz, Zitronensäure, Kalium, Magnesium und Chinin zu experimentieren, bis der Mix aus saurem Essig und bitterem Chinin geschmacklich seinen Vorstellungen entsprach. Das Ganze wird von Sponser seit vier Jahren als «Muscle Relax» kommerziell vertrieben, laut Remo Jutzeler mit beachtlichem Erfolg. «Wir waren zu Beginn ziemlich skeptisch, ob an den Studien etwas dran sei, wurden dann aber durch die Anzahl positiver Rückmeldungen überrascht. Obwohl wir den genauen Wirkmechanismus nicht kennen, ist es spannend zu sehen, dass es wirkt.»

Neu: sauer und scharf

Auch andere Sportler berichten von einer Verkürzung der Krampfdauer und einer präventiven Wirkung der Essiglösung, wenn diese regelmässig im Vorfeld eingenommen wird. Aktuelle Studien bestätigen dies und spinnen das Thema sogar noch einmal weiter. Neu wird nicht nur Säure als «Krampflöser» eingesetzt, sondern es kommt auch Schärfe ins Spiel. Chili beispielsweise. Oder Senf. Allen Studien bislang gemein: Die positive Wirkung konnte zwar signifikant bewiesen werden, wie genau die einzelnen Substanzen hingegen physiologisch wirken, bleibt nach wie vor im Dunkeln.

Laut Remo Jutzeler ist Schärfe schwieriger geschmacklich akzeptabel umzusetzen als Säure, insbesondere bei Anwendung in der Hitze. Der Lebensmittelingenieur verfolgt die weitere Entwicklung mit Interesse, obwohl für ihn die wissenschaftliche Erklärung vor allem von akademischem Interesse ist und er sich an der Praxis orientiert: «Wir sehen, dass das Produkt bei vielen Sportlern wirkt, das ist die Hauptsache.» Könnte dabei auch der Placebo-Effekt eine Rolle spielen? «Das kann durchaus sein», so Jutzeler, «wenn ein Sportler mit dem Glauben an die positive Wirkung optimistisch ins Rennen steigt, kann das sicher unterstützend wirken.»

Praxiserlebnisse contra Wissenschaft – das Essiggurkenwasser zeigt, dass es im Sport trotz modernster Technologien auch heute noch manchmal die ganz simplen Dinge sind, die scheinbar hochkomplexe Aufgabenstellungen lösen können. Und die Erkenntnis daraus: Wer als Sportler mit Tendenz zur Verkrampfung nicht in den sauren Apfel beissen möchte, sollte es für einmal mit saurem Essig probieren.

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