Das muskelbetriebene Velo ist eines der nachhaltigsten Fortbewegungsmittel überhaupt. Wohl gerade deshalb tut sich die Fahrradbranche bis heute eher schwer damit, auch bei der Produktion konsequent auf Nachhaltigkeit zu setzen. Doch auch die Velofahrerinnen und Velofahrer selbst können mehr bewirken, als sie denken. Eine Bestandesaufnahme.
Das Velo ist für Bewegungsmenschen eine der genialsten Erfindungen, die es gibt. Ein unglaublich effizientes, vielseitiges und erlebnisreiches Fortbewegungsmittel, mit dem man erstaunlich schnell erstaunlich grosse Distanzen zurücklegen kann – im Alltag wie im Sport. Wo sonst können die viel gepriesene Freiheit und Unabhängigkeit des modernen Menschen so einfach und am eigenen Leib erfahren werden wie auf einem Velo?
Gleichzeitig ist in der Gesellschaft auch die Sorge um die Umwelt und damit das Thema Nachhaltigkeit dauerpräsent, und immer mehr Industrien – wie beispielsweise die Outdoor-Branche – realisieren, dass viele Menschen, die sich regelmässig aus eigener Kraft in der freien Natur bewegen, auch umweltaffin sind.
Die Fahrradbranche tat sich lange schwer mit dem Thema Nachhaltigkeit, doch mittlerweile setzen einzelne Fahrradhersteller gezielt auf Transparenz, soziale Standards und umweltverträgliche Produktion und sprechen damit ein Publikum an, welches seine Produkte und Sportgeräte nicht nur nach dem günstigsten Preis, der trendigsten Neuerung oder dem leichtesten Gewicht aussucht, sondern nach Kriterien wie Herstellungs- und Umweltbedingungen sowie Langlebigkeit. Die Stimme des Kunden hat – wenn er denn will – durchaus eine relevante Bedeutung.
Lange kein gesellschaftlicher Druck
Lange Zeit war der gesellschaftliche Druck auf die Velobranche allerdings nicht vorhanden, denn das Fahrrad gilt per se als äusserst umweltfreundliches Verkehrsmittel und nimmt im Rahmen des aktuell gesellschaftlichen Wandels hin zu einer nachhaltigeren, gesünderen Mobilität eine gewichtige Rolle ein. Dennoch ist das Velo bis heute in den Bereichen Herstellung, Reparierfähigkeit, Recycling und Langlebigkeit trotz seines zurecht grünen Anstrichs nicht automatisch ein umwelt- und ressourcenschonendes Produkt. Dafür braucht es gezielte Anstrengungen.
Immerhin hat sich die Sensibilität der Branche in den letzten Jahren deutlich verändert und zahlreiche Hersteller beginnen sich Gedanken über Nachhaltigkeit zu machen. Doch was genau bedeutet Nachhaltigkeit? Nachhaltigkeit bedeutet die Verschmelzung von Ökonomie, Sozialem und Ökologie in einem Prozess, der die Welt auch für die kommenden Generationen bewahrt. Spricht man über Nachhaltigkeit in der Fahrradindustrie, geht es um eine Reduktion der insgesamt benötigten Ressourcen bei der Herstellung eines Fahrrads, um eine bestmögliche CO2-Bilanz, um die Beachtung von Umweltschutzmassnahmen, um faire Arbeitsbedingungen wie auch um Reparierfähigkeit, Langlebigkeit und Recycling.
Der deutsche Fahrradhersteller Riese und Müller beispielsweise, der auf Cargo-Bikes, E-Bikes und Falträder spezialisiert ist, versucht seit einigen Jahren konsequent nachhaltig zu handeln. Bereits 2019 wurde die Energieversorgung des neuen Firmengebäudes komplett CO2-neutral gedeckt, 80 Prozent des gesamten Strombedarfs kommen dabei aus der eigenen Photovoltaikanlage. Seit fünf Jahren veröffentlicht Riese und Müller einen umfassenden «Verantwortungsbericht» mit den durchgeführten Massnahmen (www.r-m.de/de-ch/verantwortung).
Auch Shimano, der grösste Komponentenproduzent der globalen Fahrradbranche, unternimmt seit 2004 im Rahmen des hauseigenen «Green Plan» Anstrengungen, um seinen ökologischen Fussabdruck zu verringern. Ausser der Modernisierung seiner Fabriken gehören dazu etwa die Reduktion von gesundheits- und umweltschädigenden Giftstoffen über die gesamte Lieferkette oder die Reinigung und Wiederverwendung des bei der industriellen Fertigung entstehenden Abwassers. Shimano lässt sich dabei allerdings nicht in die Karten blicken, was genau sie machen, wird nicht kommuniziert.
Auf der Trek-Webseite hingegen findet sich ein umfangreicher Nachhaltigkeits-Report (www.trekbikes.com/ch/de_CH > und dann ganz unten bei «Inside Trek» auf Nachhaltigkeit klicken) und auch Specialized setzt sich vermehrt mit Umweltaspekten auseinander (www.specialized.com/ch/de/sustainability). Und Shimanos grösster Konkurrent Sram intensiviert seine Bemühungen, die Komponenten langlebiger zu produzieren und sortenrein, damit sie zerlegbar und somit auch reparier- und rezyklierbar sind. Ein weiteres Beispiel ist der Reifenhersteller Schwalbe, der heute jährlich 1,8 Millionen Schläuche rezykliert und spezielle Reifen entwickelt, die deutlich länger halten als früher. Auch Schwalbes italienischer Mitbewerber Vittoria investiert in Langlebigkeit und hat 2022 ein Recycling-Programm ins Leben gerufen.
Ebenfalls vorbildlich unterwegs ist mit Vaude ein Anbieter, der bereits in der Outdoor-Bekleidungsbranche durch seine Transparenz und Handlungsweise Akzente gesetzt hat. Der süddeutsche Hersteller von Fahrradtaschen bietet für gebrauchte Produkte seit diesem Jahr eine Online-Plattform an, allerdings bislang ausschliesslich in Deutschland (www.rent-secondhand.vaude.com). Und wenn es um kompromisslose Langlebigkeit geht, ist der US-Amerikaner Chris King ein Vorreiter: King verkauft seine Komponenten seit Jahrzehnten mit lebenslanger Garantie.
In der Schweiz hat sich der Schweizer Versandhandel-Pionier Veloplus an die komplexe Aufgabe gemacht, mit dem «Cumpan» ein möglichst nachhaltiges Fahrrad zu entwickeln (cumpan.veloplus.ch). Nach aufwendiger Projektphase war die Lancierung 2023 ein Erfolg und das Projekt wird weitergeführt, ab April 2025 steht mit dem Cammina zusätzlich ein fünftes Cumpan-Modell in den Verkaufslokalen.
Das Cumpan ist zwar nicht zwingend nachhaltiger als Stahlvelos von anderen Herstellern mit ähnlichen Komponenten, aber es rückt durch die breitere Wahrnehmung von Veloplus das Thema zumindest schweizweit ins Bewusstsein eines grösseren Publikums. Und auch wenn die 777 sorgfältig ausgerüstete Stahlrahmen-Velos von Veloplus im Weltmarkt kaum mehr als ein kleiner Tropfen auf den heissen Nachhaltigkeits-Stein sind, besteht in der Nische mittlerweile eine Käuferschaft, die sich für das Thema interessiert und auch stark macht.
Dieser Text ist eine stark gekürzte Fassung eines umfangreichen Artikels im Schweizer Magazin FIT for LIFE zum Thema Nachhaltigkeit in der Velobranche. Der Artikel ist in seiner ganzen Länge in der aktuellen Ausgabe von FIT for LIFE zu lesen inklusive zahlreicher Tipps für umweltbewusste Konsumenten.
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