Bildquelle: © Andreas Gonseth

Die Bandbreite der Empfehlungen, was Frauen in der Schwangerschaft tun und lassen sollten, ist gross und verwirrend. Die junge Mutter Melanie Weilenmann ist sportlich, körperbewusst – und wissbegierig. Für FIT for LIFE hat sie aufgeschrieben, wie sie ihre Schwangerschaft erlebt hat und was die Wissenschaft dazu sagt.

Sport in der Schwangerschaft ist gesund, keine Frage. So bestand auch für mich als begeisterte und langjährige Läuferin kein Zweifel, dass ich meine sportlichen Tätigkeiten in der Schwangerschaft so gut es geht weiterführen wollte. Gleichzeitig war ich verwirrt von all den gutgemeinten Ratschlägen, die mir gegeben wurden:

«Achte darauf, dass dein Puls nicht über 140 Schläge steigt.»

«Nein, nein, ein Puls bis 90% der maximalen Herzfrequenz ist erlaubt.»

«Joggen darfst du, solange du dich gut fühlst».

«Ich würde das Laufen möglichst bald durch Walken ersetzen, die Belastung für den Beckenboden ist zu hoch»

Die entscheidende Frage für eine schwangere Frau lautet also scheinbar nicht, ob Sport, sondern wie viel und welcher Sport. Ein positiver Schwangerschaftstest bringt mit einem Schlag viele Veränderungen, aber auch viele Unklarheiten ins Leben einer Frau, und natürlich war auch ich bedacht, alles richtig zu machen. Also machte ich mich auf die Suche nach verlässlichen Informationen.

Aktivität erwünscht

Lange Zeit galt die Ansicht, dass sportliche Betätigung in der Schwangerschaft für die Schwangere und deren Ungeborenes negative Auswirkungen habe. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Ansicht glücklicherweise massiv verändert. Obwohl sich nur wenige Studien konkret mit Sport in der Schwangerschaft beschäftigen, sagen die vorhandenen: Aktive Schwangere haben geringere körperliche Beschwerden und nehmen während der Schwangerschaft weniger an Gewicht zu. Oftmals kommt es dadurch sogar zu weniger Komplikationen. Zudem stärkt Sport das Selbstvertrauen und verringert das Risiko für Stimmungsschwankungen und Depressionen vor und nach der Geburt.

Grundsätzlich gilt: Fast jede Sportart ist machbar, sofern sich eine Frau dabei sicher und wohl fühlt. Allerdings muss die Vorgeschichte der Frau beachtet und die Situation in der Schwangerschaft aufmerksam immer wieder neu beurteilt werden. Eine schwangere Leistungssportlerin kann ihren Körper mehr und öfter belasten als eine Frau, die im Vorfeld kaum oder nur gelegentlich Sport getrieben hat. Die entscheidende Voraussetzung dafür: Gesundheitlich ist alles in Ordnung.

Wenn ein Frauenarzt oder eine Frauenärztin mit Sport wenig am Hut haben, macht im Zweifelsfall eine Beratung bei einer Sportärztin oder einem Sportarzt Sinn, sie wissen, was aktive Frauen in der Schwangerschaft sportlich alles machen wollen – und können. Der grösste Hemmschuh ist für viele Schwangere die veraltete Grundeinstellung, dass sie sich automatisch schonen sollten. Dabei ist es in der Realität im Gegenteil so, dass sich viele Frauen in der Schwangerschaft zu wenig bewegen.

Laufen wie auf Eiern

Vor der Schwangerschaft war ich regelmässig laufend unterwegs. Die ersten Läufe nach dem positiven Schwangerschaftstest haben sich angefühlt, als würde ich über rohe Eier joggen. Es war komisch und ungewohnt, dies aber eher im Kopf als im Bauch. Auch im ersten Trimester schnürte ich noch regelmässig die Joggingschuhe, doch die Laufzeiten und Kilometerzahlen waren kein Vergleich zu vorher.

Die meisten Tage begleiteten mich bleischwere Müdigkeit und latente Übelkeit, so dass mein Körper überhaupt nicht in der Lage war, irgendwelche Höchstleistungen zu erbringen. An besonders müden Tagen kam es daher vor, dass ich einen Teil der Strecke gehend zurücklegte. Dennoch spürte ich, dass mir die sportliche Betätigung und frische Luft guttaten. Nicht nur körperlich, nein, es half mir auch mental mit der neuen Situation zurechtzukommen.

Körpersignale deuten

Was viele Frauen in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft begleitet – die Angst vor einer Fehlgeburt –, davon war auch ich nicht befreit. Neuere Studien widerlegen jedoch den Zusammenhang von Fehlgeburten und sportlicher Aktivität. Diese Tatsache beruhigte mich. Gleichzeitig war ich bedacht, meinem Körpergefühl zu folgen, welches mich bislang gut leitete.

Schliesslich hatte mich erst mein letzter längerer Lauf dazu veranlasst, überhaupt einen Schwangerschaftstest zu machen, weil sich das Training anders anfühlte als gewohnt. Das positive Resultat bestätigte meine Intuition. Oft ist diese bei Sportlerinnen gut ausgeprägt, kann aber je nach Ambition auch durch die hohen Ansprüche getrübt sein.

Auf intensive Trainingseinheiten und Intervalltrainings verzichtete ich nach dem positiven Test und war fortan nur noch entspannt und locker unterwegs. Moderates Training in der Schwangerschaft empfiehlt auch die Deutsche Sporthochschule Köln, welche zum Thema Sport in der Schwangerschaft ein spannendes Internetportal entwickelt hat (www.dshs-koeln.de/sport-und-schwangerschaft) und sogar ein kostenloses Coaching für schwangere Sportlerinnen anbietet.

Auch Swiss Olympic widmet sich im Projekt «Frau und Spitzensport» dem Thema Sport & Schwangerschaft mit diversen Infos und Grafiken sowie einem Podcast, in dem Triathletin Nicola Spirig über ihre Erfahrungen als schwangere Sportlerin und Mutter spricht. (www.swissolympic.ch/athleten-trainer > frau und spitzensport > fokusthemen > schwangerschaft)

Gewinnbringendes Krafttraining

Krafttraining führte ich im 1. Trimester noch regelmässiger durch als sonst. Sportwissenschaftler und Mediziner sind sich einig, dass leichtes bis moderates Krafttraining sinnvoll ist und sogar Vorteile bringt. Schwangere Frauen profitieren von der Stärkung der Muskelpartien von Bauch, Rücken und Beckenboden für die Schwangerschaft und Geburt. Da in der Schwangerschaft vermehrt das Hormon Relaxin ausgeschüttet wird, welches Sehnen und Bänder lockert und zu Instabilitäten führen kann, mindert regelmässiges Krafttraining diese Gefahr und damit auch die Verletzungsanfälligkeit besonders für Ausdauersportlerinnen.

Wichtig beim Krafttraining ist jedoch, dass sich die Frauen eine Pause gönnen, wenn der Körper eine fordert. In den ersten 12 Wochen besuchte ich noch das Fitnessstudio und trainierte an Geräten, wenn auch mit weniger Gewicht als sonst, dafür aber mit mehr Wiederholungen. Danach trainierte ich ohne Maschinen zu Hause mit Eigengewicht und leichten Handeln.

Das goldene Trimester

Das zweite Trimester wird nicht zu Unrecht als das «goldene Trimester» bezeichnet. Dieses Schwangerschaftsdrittel ist normalerweise die Zeit, in der sich Frauen während der gesamten Schwangerschaft am fittesten und wohlsten fühlen. Das traf auch bei mir zu. Die Müdigkeit aus dem ersten Trimester war verflogen und ich fühlte mich sehr gut. Irgendwie wollte ich diese Phase ausnützen, weil ich ahnte, dass es gegen Ende der Schwangerschaft anstrengender werden würde.

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Nach wie vor konnte ich mich sehr vielfältig bewegen, musste aber auch festhalten, dass sich die Schwangerschaft immer deutlicher auf die sportliche Leistung auswirkte. Je grösser mein Bauch wurde, desto langsamer wurde ich. Anfangs des zweiten Trimesters joggte ich noch ungefähr jeden zweiten Tag eine Runde. Länger als eine Stunde war ich aber kaum mehr unterwegs.

Das Laufgefühl konnte von Mal zu Mal sehr unterschiedlich sein, mal fühlte ich mich leichter, mal bleischwer und erschöpft. Entsprechend passte ich meine Leistung und Ansprüche an. Natürlich spürte ich den zusätzlichen Druck auf die Blase. So plante ich meine Joggingrunde nun so, dass ich jederzeit einen Pippi-Stopp einlegen konnte.

An Tagen, an denen ich nicht laufen ging, übte ich mich weiterhin im Krafttraining, ging fleissig spazieren oder erholte mich. Ab der 20. Schwangerschaftswoche verzichtete ich auf gerade Bauchmuskelübungen, da ab der Hälfte der Schwangerschaft die gerade Bauchmuskulatur dem wachsenden Babybauch den nötigen Platz gibt und leicht auseinanderweicht. Damit die Gebärmutter ausreichend Raum findet und das leichte Öffnen der geraden Bauchmuskeln zugelassen wird, sollten vor allem die schrägen Bauchmuskeln trainiert werden.

Die Sache mit dem Puls

Etwas, was mich immer wieder beschäftigte, war der passende Pulsbereich. In generellen Empfehlungen findet man oft Angaben, dass man eine Herzfrequenz von 140 nicht überschreiten sollte. Die Begründung: Während eines Trainings im anaeroben Bereich bildet sich Laktat im Blut, was schädlich für den Fötus sein könne. Zudem würde die vermehrte Durchblutung der Muskulatur auf Kosten der Plazentadurchblutung des Kindes gehen und so die Sauerstoffversorgung des Babys gefährden. Mir erschien diese fixe Grenze wenig verlässlich, da ich schon vor der Schwangerschaft beim Laufen ohne grosse Anstrengung einen Puls von 140 erreichte. Ich suchte nach verlässlicheren Quellen.

Die Empfehlung «Puls 140» entspringt den Richtlinien des American Congress of Obstetricians and Gynecologists (ACOG). Das klingt nach einer vertrauenswürdigen Quelle für Informationen zum Thema Sport in der Schwangerschaft – und ist es auch. Das Problem liegt darin, dass diese Richtlinien im Jahr 1985 veröffentlicht und keine zehn Jahr später vom ACOG selbst wieder revidiert wurden. Dennoch hält sich die Empfehlung hartnäckig in den Köpfen von Frauenärzten, Hebammen & Co.

Sicher ist: Während der Schwangerschaft steigt die Blutmenge im Körper und als Reaktion darauf bei fast allen Schwangeren auch der Puls. Das zusätzliche Blut muss schliesslich Mutter UND Fötus versorgen. Der erhöhte Puls ist also in der Regel nichts anderes als ein physiologischer Anpassungsmechanismus an die Schwangerschaft.

Wäre in der Schwangerschaft also tatsächlich eine Pulsobergrenze von 140 Schlägen pro Minute einzuhalten, dürften Schwangere weder Treppen steigen noch Einkäufe, Wäschekörbe oder Kinder tragen – und auch sonst nichts tun, was zu einem aktiven Alltag gehört.

Mittlerweile finden sich aber auch Empfehlungen mit Puls 155 als Obergrenze oder solche, dass in der Schwangerschaft bis zu 90% der maximalen Herzfrequenz erreicht werden darf. In der Praxis am einfachsten und wohl auch am verlässlichsten ist der Sprechtest: Solange Frau sich beim Sport noch unterhalten kann, ist die Gefahr gering, sich zu überanstrengen. Der Sprechtest wird von Experten individuell sogar passender betrachtet als eine fixe – und willkürliche – Pulsgrenze. Diese Informationen beruhigten mich, so hielt ich mich fortan daran und verliess mich einmal mehr auf mein Körpergefühl.

Klare Warnzeichen

Wann ist die Belastung zu hoch und ab welchem Zeitpunkt muss die Intensität zurückgefahren oder der Sport ganz eingestellt werden? Die Antwort darauf beantwortet der eigene Körper am besten. Es gibt klare Warnzeichen, die nicht ignoriert werden dürfen. Das Training sollte in keinem Fall so intensiv sein, dass Atemnot, Schwindel, Stechen in der Brust, Kontraktionen und/oder Schmerzen im Bauch, vaginale Blutungen oder Abgang von Fruchtwasser ausgelöst werden. Gerade für Athletinnen, die es gewohnt sind, sich an ihre Grenzen zu belasten und körperliches Unwohlsein beim Training dazugehört, bedeutet dies eine besonders bewusste Herangehensweise ans Training.

Auch mich hatte in der 22. Schwangerschaftswoche kurz der Ehrgeiz zu stark gepackt und ich war noch 16 Kilometer laufend unterwegs. Ein harter Bauch und starke Erschöpfung waren die Konsequenzen, sodass ich danach kein solches Training mehr durchführte.

Reaktionen von aussen

Spannend waren für mich auch die Reaktionen meines Umfelds. Während es für die jüngere Generation selbstverständlich war, dass ich noch sportlich aktiv war, überraschte mich eine etwas ältere Kollegin, die sich besorgt erkundigte, wie es mir denn ginge, so ganz ohne Sport. Als ich sie darüber aufklärte, dass ich sogar noch laufen würde, war sie ganz entsetzt. Als sie vor 16 Jahren selbst ihre Zwillinge geboren hatte, galt meist noch die Empfehlung, sich in der Schwangerschaft komplett zu schonen.

Trotz der neuen Erkenntnisse musste ich immer wieder für meine Bedürfnisse und mein aktuelles Befinden einstehen. In meinem Umfeld galt ich weiterhin als «die Sportliche», was dazu führte, dass meine sportliche Leistungsfähigkeit tendenziell überschätzt wurde. Ich musste also lernen zu kommunizieren, was noch ging, und was definitiv zu viel war.

Ab ins Wasser

Im dritten Trimester legt das Baby nochmals einiges an Gewicht zu, was sich natürlich auch bei der werdenden Mama bemerkbar macht. Zu Beginn des dritten Trimesters war ich immer noch laufend unterwegs, doch als ich in der 32. Woche beim Laufen einen unangenehmen Druck auf die Hüfte verspürte, wusste ich, dass die Zeit gekommen war, das Laufen sein zu lassen.

Das war für mich aber weniger schmerzhaft als erwartet, vielmehr war ich dankbar, dass ich noch so lange in der Schwangerschaft laufen konnte. Fortan bewegte ich mich weiter spazierend an der frischen Luft, machte weiterhin Krafttraining, auch wenn es umfangmässig immer kürzer wurde. Dazu setzte ich auf sanfte Ausdauereinheiten auf dem Crosstrainer und auf dem Indoor-Velo. Neu ging ich ab und zu Schwimmen. Dabei wurde mir klar, wieso Schwimmen bei so vielen Schwangeren beliebt ist. Bei keiner anderen Sportart fühlt man sich so leicht und «unschwanger» wie im Wasser. Auch Experten befürworten Aktivitäten aller Art im Wasser, neben Schwimmen beispielsweise Aquafitness.

Gegen Ende des dritten Trimesters kehrte dann die altbekannte Müdigkeit und Erschöpfung zurück. Zwar gab es immer wieder energiereiche Tage, dennoch spürte ich die körperliche Belastung deutlich. So gönnte ich mir mehr Ruhe und achtete darauf, mich nicht unnötig herauszufordern. Meine mentale Einstellung als Sportlerin half mir dabei. Ich war nun genug vorbereitet, nun galt es die nötige «Taperingphase» vor dem «Marathon» (Geburt) einzuhalten. Mir half es auch, mich im Vorhinein mit der nötigen kommenden Regenerationsphase (Wochenbett) auseinanderzusetzen. Dieser wollte ich genügend Beachtung schenken.

Dankbar für die Bewegung

Ich bin froh, dass ich so eine bewegte und gesunde Schwangerschaft erleben konnte. Durch den Sport fühlte ich mich optimal körperlich auf Geburt und Wochenbett vorbereitet und von häufigen Schwangerschaftsbeschwerden wie Rückenschmerzen oder starken Wassereinlagerungen blieb ich glücklicherweise verschont. Ich bin überzeugt, dass mich die sportliche Aktivität auch mental stärkte und mir half, mit allen Hormonschwankungen und Veränderungen umzugehen. Die Geburt verlief schnell und komplikationslos. Dennoch war es die intensivste körperliche Erfahrung, die ich jemals erlebt habe und nicht zu vergleichen ist mit früheren sportlichen Herausforderungen. Entsprechend gönnte ich mir eine mehrwöchige Regenerationszeit und bin nun, nach rund drei Monaten und abgeschlossener Rückbildung, mitten im sportlichen Wiederaufbau.

Meine Nachforschungen haben mich bei dem unterstützt, was ich gefühlsmässig spürte: Das Wichtigste ist ein gutes Körpergefühl. Schwangerschaft und Geburt sind wichtige Momentaufnahmen im Leben einer Frau, denen die nötige Aufmerksamkeit gebührt. Ehrgeiz und Ambitionen sind in dieser Lebensphase fehl am Platz, es geht ums Wohlbefinden von Mutter und Kind.

*Melanie Weilenmann lebt mit ihrem Mann und Tochter Linn im Kanton Zürich. Als begeisterte Hobbyläuferin hat sie vor ihrer Schwangerschaft den Marathon zweimal unter drei Stunden geschafft. Wie sie nach der Geburt den Wiedereinstieg in den Sport geschafft hat, erzählt sie in ihrem Blog. Melanie Weilenmann hat sich beruflich mit Online-Beratungen und Onlinekursen auf Frauengesundheit spezialisiert. Infos und Angebote unter www.melanieweilenmann.com oder auf Instagram unter melanie.weilenmann

 

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