Laufszene Schweiz auf Rekordkurs
2024 sind alleine an den 10 grössten Schweizer Volksläufen 206’000 Menschen um Rang und Zeit gerannt. Die grosse Krise in den Corona-Jahren ist vergessen, zahlreiche Events verzeichnen absolute Rekordzahlen. Eine Übersicht.
In den 1980-er Jahren entwickelte sich das Laufen in der Schweiz nach und nach zum Volkssport. 1985 verzeichnete der Murtenlauf – der 1933 erstmals durchgeführt wurde und damals der unangefochten grösste Schweizer Laufsportanlass war – stolze 13’849 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und wurde regelmässig live im Fernsehen übertragen.
In den folgenden Jahren kamen immer mehr Laufevents dazu und 2014, rund dreissig Jahre später, verzeichneten die hundert grössten Schweizer Laufevents 395’211 Teilnehmer. Ebenfalls erstaunlich: 102 Laufveranstaltungen wiesen damals über 1000 Klassierte auf.
So sah sich die Schweizer Laufszene in den Jahren vor Corona mit einem riesigen Portfolio an unterschiedlichsten Laufevents von kurzen Strecken bis Marathon und auf Asphalt oder offroad bestens aufgestellt. 2019, am Ende des letzten Jahres vor Corona, verzeichneten die Top Ten der Schweizer Laufevents einen neuen Rekord: Mit 189’955 Läuferinnen und Läufern steigerten sie die Teilnehmerzahlen im Vergleich zu 2010 noch einmal kräftig um 28 %.
Und plötzlich kam Corona
Doch dann kam Corona. Die Geschichte der Pandemiejahre 2020/2021 ist rasch erzählt: Ausfall von zahlreichen Events und Totaleinbruch der Teilnehmerzahlen. Zwei Jahre Tristesse pur. Ab März 2022 konnten die meisten Events dann wieder unter den gleichen Bedingungen wie früher durchgeführt werden, wovon in erster Linie die Herbstveranstaltungen profitierten.
Doch es dauerte, bis die Teilnehmer zurückkamen. Bei den Top Ten 2022 im Jahr eins nach Corona waren es immerhin 149’990 Läuferinnen und Läufer, dies entsprach etwa dem gleichen Stand wie 2010 (143’375 Finisher), aber noch einem Minus von knapp 21 % gegenüber dem erwähnten Rekordjahr 2019 (183’178). Doch schon 2023 näherten sich die Top Ten mit 179’930 Teilnehmern ganz nahe an diese Zahl heran, und 2024 wurde erstmals die 200’000-Marke durchbrochen. Stolze 206’419 Läuferinnen und Läufer finishten bei den zehn grössten Schweizer Laufevents.
Überflieger Escalade
Ein Event sticht bei den Top Ten speziell hervor. Als grösster Laufevent der Schweiz behauptet sich seit Jahren überlegen die Genfer Escalade, 2024 mit unglaublichen 48’878 Finishern das Lauffest schlechthin. Speziell dabei: Die Escalade wird von den meisten Teilnehmern nicht als sportliche Herausforderung wahrgenommen, sondern als Volksfest mit Festivalcharakter, bei dem nebenbei auch noch gelaufen wird. Speziell gefördert wird in Genf der Zusammenhalt und die Motivation: Mit dem Ziel einer Escalade-Teilnahme werden schon Monate vor dem Event zahlreiche Trainings für verschiedenste Zielgruppen angeboten.
Hinter der Escalade steuern die 20 km de Lausanne (27’279 Finisher) wie auch der GP Bern (27’251 Finisher) als zweit- und drittgrösste Schweizer Event der 30’000-Teilnehmer-Marke zu. Der GP Bern hat dies 2017 mit 30’260 Finishern bereits einmal geschafft. Auffällig bei den grössten Schweizer Laufevents: Die Nähe zu einer grossen Stadt scheint eine wichtige Voraussetzung für hohe Teilnehmerzahlen zu sein. Acht Events der Top Ten 2024 sind Stadtevents und werden auf Teer gelaufen. Nur die Sola-Stafette und der Murtenlauf sowie der Greifenseelauf als Nummer 12 knacken die 10’000-Marken-Grenze auch in ländlicher Umgebung.
10 Meilen ziehen am meisten
Die Zunahme der Teilnehmerzahlen erfolgte in den letzten Jahren meistens als Gesamtevent, also über alle Distanzen zusammen, aber nicht zwingend auf der Hauptdistanz. Durch die Schaffung von neuen Kategorien (Familien, Kids, Walker, Team, Stafetten) und Unterdistanzen konnten dadurch insgesamt mehr Menschen für den Laufsport mobilisiert werden. Gleichzeitig ist bei vielen Anlässen auf der anstrengenden Hauptdistanz eine Stagnation oder zumindest ein Rückgang des Wachstums zu verzeichnen.
Die offiziellen Gesamt-Teilnehmerzahlen täuschen daher ein bisschen über die tatsächlichen Entwicklungen im Breitensport Laufen hinweg. So hat die Beliebtheit des Halbmarathons im Vergleich zum Marathon deutlich zugenommen. Bei den 10 grössten Schweizer Halbmarathons in der Schweiz haben mit 41’218 mehr als doppelt so viele Sportlerinnen und Sportler gefinished wie bei den 10 grössten Schweizer Marathons (14’151).
Und noch einmal deutlich mehr als beim grössten Schweizer Halbmarathon in Genf (6926 Finisher) sind auf den 10-Meilen des GP Bern unterwegs (11’278 Finisher). Allerdings waren es 2024 in Bern deutlich weniger als auch schon. Bereits 2004 finishten beim GP 12’584 Sportlerinnen und Sportler über die 10 Meilen, 2006 sogar 14’301 und der absolute Höchstwert wurde 2014 mit 15’344 Finishern erzielt.
Die Faustregel «je härter, desto weniger Teilnehmer», gilt auch heute noch, allerdings nicht mit dem Umkehrschluss, dass auf den kürzesten Distanzen am meisten unterwegs sind. Der gut schweizerische Kompromiss lautet 10 Meilen, gefolgt von Strecken zwischen 6 km und 10 km (Stadtläufe) und Halbmarathon. Allesamt Distanzen, die man nicht aus dem Stegreif schafft, bei denen die Latte aber auch nicht so hoch liegt wie auf ganz langen Distanzen.
Unterschiedliche Frauenquote
Einen wesentlichen Anteil am Wachstum der Laufbewegung haben die Frauen. Das weibliche Geschlecht hat über alle Distanzen kräftig aufgeholt, bei den kürzeren noch etwas mehr als bei den längeren. Beim Altstadt GP im Rahmen des GP Bern sind die Läuferinnen mit 53 % sogar bereits in der Überzahl, mit 55 % sogar noch etwas höher liegen die 11 km beim Transviamala. Erklären lassen sich diese hohen Quoten auch mit dem Umstand, dass bei beiden Events noch eine längere Strecke angeboten wird und die meisten Männer auf der Hauptstrecke starten wollen.
Wie bei der Distanz gilt auch bei der Frauenquote grundsätzlich die Regel: Je länger und härter ein Lauf, desto kleiner wird die Frauenquote. Bei den 8,5 km des Silvesterlaufs beträgt der Frauenanteil 41 %, beim Greifensee Halbmarathon 38,9 % und beim Zürich Marathon 21 %.
Ein Strassenmarathon scheint also nicht unbedingt der Herzenswunsch vieler Läuferinnen zu sein, obwohl sich heute wesentlich mehr Frauen an die Herausforderung heranwagen als früher und wohl ebenso viele Frauen wie Männer das Leistungsvermögen hätten, einen Marathon zu schaffen. Immerhin nimmt der Frauenanteil auf der Marathondistanz laufend zu: Beim Zürich Marathon 1984 betrug er noch spärliche 6,8 %.
Die Halbmarathondistanz vermag die Frauen schon wesentlich mehr zu begeistern. Bei den Top Ten der Schweizer Halbmarathons sind überall zwischen 30-40 % Frauen unterwegs. Mit einer Ausnahme: Beim Aletsch-Halbmarathon beträgt der Frauenanteil sogar stolze 40,2 %! Und auch beim Transruinaulta Marathon sind trotz strengem Streckenprofil über ein Drittel Frauen unterwegs (34 %). Es scheint, dass Frauen ihre Anlässe weniger nach Streckenlänge oder Prestige (Marathon) aussuchen, sondern vor allem den Erlebniswert in der Natur gewichten.
Marathon mit Höhen und Tiefen
Noch ein Wort zur Königsdistanz: Als vor der Jahrtausendwende immer mehr Schweizerinnen und Schweizer das Laufen als äusserst effiziente und gesunde Freizeit-Sportart entdeckten, wurden auch längere Distanzen und anspruchsvolle Streckenführungen beliebter. Mit der wachsenden Popularität der grossen internationalen City-Marathons in New York, London und Berlin legte der Mythos Marathon auch hierzulande kräftig zu.
Allerdings nur zwischenzeitlich, denn die Geschichte des Marathons in der Schweiz ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen. Bereits in den 80er-Jahren wurde in Zürich ein Marathon ausgetragen, der aber nur sechs Austragungen überlebte. 1993 startete der Lausanne Marathon, mittlerweile als Gesamtpaket in den Top Ten der grössten Schweizer Laufanlässe vertreten.
Erst 2003 wurde der Zürich Marathon wiederbelebt. Dann aber auf Anhieb mit erstaunlichem Erfolg. Bei der Premiere liefen 4667 Finisher ins Ziel, ein Jahr später wurde mit 5761 Finishern gar ein beachtlicher Höchstwert erzielt. Doch danach ging es langsam wieder bergab, 2019 waren es nur noch 2431 Finisher. Nach Corona erfolgte wieder ein kontinuierlicher Aufschwung und 2024 verzeichnete der Zürich Marathon als aktuell grösster Schweizer Strassenmarathon 3181 Finisher. Der grösste Schweizer Marathon absolut hingegen ist 2024 der Jungfrau-Marathon mit 3259 Finishern.
Wohin führt die Entwicklung?
Nach 2024 kann konstatiert werden: Die Laufszene hat sich – hoffentlich langfristig – von Corona erholt. Das Laufrad Schweiz dreht sich wieder und wird sicher auch im aktuellen Jahr für anhaltend hohe Teilnehmerzahlen sorgen. Teils vielleicht sogar so hohe, dass einzelne Events Teilnehmerbeschränkungen einführen müssen. Für die Veranstalter sind das allerdings «Luxusprobleme», denen sie sich nur allzugerne stellen und von denen sie vor wenigen Jahren nur träumen konnten.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus einer umfassenden Entwicklungsgeschichte der Schweizer Laufszene im aktuellen FIT for LIFE mit vielen Grafiken und Übersichten. Die Januar-Ausgabe von FIT for LIFE erhalten Sie jetzt an Ihrem Kiosk oder im Abo unter www.fitforlife.ch/shop