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Wie trainiert man seinen Fettstoffwechsel? Ein Selbstversuch zeigt, worauf es ankommt.

Ich starre auf die orangen Balken auf dem ausgedruckten Blatt Papier, welches mir Lorenz Leuthold unter die Nase hält. «Dein Fettstoffwechsel ist praktisch inexistent», sagt er trocken. Die Balken illustrieren, wie viel Energie sich mein Körper unter sportlicher Belastung aus Fetten und wie viel aus Kohlenhydraten holt.

Grundsätzlich gilt: Je besser ausdauertrainiert jemand ist, umso länger und unter höheren Belastungen kann er oder sie Energie aus Fetten gewinnen. Während ich bisher meine Fitness als «ganz okay» eingeschätzt habe, offenbaren die Balken nun: Zumindest mein Fettstoffwechsel läuft unterirdisch schlecht: Meine im Fachjargon sogenannte maximale Fettoxidationsrate liegt bei 0,14 Gramm Fett pro Minute. Spitzenausdauerathleten erreichen Werte von gut 1 Gramm pro Minute, also rund siebenmal mehr. Lorenz Leuthold, Bewegungswissenschaftler beim Leistungscenter «Training & Diagnostics» in Zürich, nickt, als ich ihm von meinen regelmässigen Hungerästen während Skitouren, langen Läufen und Wettkämpfen erzähle. Offensichtlich überrascht ihn das nicht, denn meine Kohlenhydrate verbrennen wie Zunder, während sich die Fette vor jeglicher Verstoffwechselung zu drücken scheinen.

Stoffwechsel-Striptease

Gleicher Ort, eine Stunde vorher: Ich trete auf meinem Rennrad, als ginge es um Leben und Tod. Eine Maske, die mir das Atmen erschwert, misst kontinuierlich die Zusammensetzung meiner Atemgase, also Sauerstoff und Kohlendioxid. Das Verhältnis dieser Gase zeigt, ob der Körper vorwiegend auf Fetten oder Kohlenhydraten läuft. Gleichzeitig misst Lorenz Leuthold meine Herzfrequenz. So lässt sich nach dem Test bestimmen, bei welchem Puls und welcher Leistung (Watt) ich anteilsmässig am meisten Fett verbrenne. Der Test ist kurz, aber schmerzvoll: Nach gut zehn Minuten und bei 253 Watt gebe ich fix und fertig auf. Doch so soll es sein: Bei dieser Form von Sprioergometrietests wird die Leistungsfähigkeit bis zum persönlichen Maximum getestet.

Zu wenig langsam

«Etwa neun von zehn von uns getesteten Athleten haben einen schlechten Fettstoffwechsel», sagt Leuthold. Und das komme durchaus auch häufig bei Spitzensportlern vor, betont der Sportphysiologe, der jährlich mit über tausend Athletinnen und Athleten Spiroergometerietests durchführt. Die Ursache: Die Sportler absolvieren zu wenige langsame Einheiten und trainieren für die Grundlagenausdauer in zu intensiven Trainingszonen. «Bei drei bis fünf Trainingseinheiten pro Woche wollen die meisten Sportler nicht ganz langsam unterwegs sein, weil sie denken, das bringe nichts», sagt Leuthold. «Dadurch absolvieren sie automatisch ein mittelhartes Training, das aber weder Fisch noch Vogel ist.» Sportwissenschafter Lorenz Leuthold propagiert vielmehr eine polarisierte Trainingsroutine, also einerseits ganz lockere Einheiten in Kombination mit ganz harten und intensiven Trainings.

Energiedepot Fette

Doch wie beeinflusst der Stoffwechsel die sportliche Leistung überhaupt? Der Körper holt sich seine Energie vorwiegend entweder aus Kohlenhydraten oder Fetten. Nur: Die Kohlenhydratspeicher in den Zellen sind begrenzt und müssen während Ausdauerbelastungen geschont werden. Dauert die Belastung lange und intensiv, kann man nicht mehr genügend Kohlenhydrate zuführen, weil sich sonst etwa Magenprobleme einstellen. Demgegenüber bergen Fette ein nahezu unbegrenztes Energiepotential – sogar bei austrainierten Spitzenathleten. Weil die Energiebereitstellung bei intensiven Belastungen ohne Kohlenhydrate nicht funktioniert, «bricht» man ein, sobald diese aufgebraucht sind. Deshalb ist es wichtig, die Kohlenhydratreserven zu schonen.

«Ziel ist, die Fatmax-Zone so nahe als möglich an die anaerobe Schwelle heran zu trainieren», sagt Leuthold. So könne man bei höherer Leistung sehr viel Energie mit dem Fettstoffwechsel bereitstellen. Und: Je länger die Wettkampfzeit, desto wichtiger. «Richtig ins Gewicht fällt der Fettstoffwechsel etwa ab zwei Stunden», erklärt Joëlle Flück, Expertin für Sporternährung und Präsidentin der Swiss Sports Nutrition Society, am Telefon. Eine dänische Studie untersuchte vor einigen Jahren den Zusammenhang zwischen maximaler Fettverbrennungsrate und der Leistung am Ironman in Kopenhagen von einigen Dutzend Athleten. Mit dem Resultat: Je höher die Rate, desto schneller liefen die Athleten ins Ziel.

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Puls- und Wattbereiche individuell

Das alles klingt für mich durchaus plausibel. Deshalb höre ich Lorenz Leuthold aufmerksam zu, als er meine Fettstoffwechsel-Bereiche definiert und auf ein Blatt schreibt. Diese unterscheiden sich von Person zu Person markant und liegen zwischen 50 und 80 Prozent des Maximalpulses. Eine individuelle Leistungsdiagnostik – obschon mit rund 300 Franken ein teurer Spass – macht daher durchaus Sinn, wie auch Joëlle Flück bestätigt. Mein maximaler Fettverbrennungsbereich beim Radfahren liegt etwa in einem Pulsbereich von 130 Schlägen pro Minute oder bei 68 Prozent meines Maximalpulses. Über den Daumen gepeilt kann man für den entsprechenden Bereich beim Laufen zehn Schläge abziehen.

In der Fatmax-Zone werden übrigens nicht am meisten Kalorien verbrannt, wie fälschlicherweise oft zu lesen ist. Die absolute Fettverbrennung ist in diesem Bereich zwar am höchsten, am meisten Kalorien werden aber bei ganz hohen Intensitäten verbraucht. Am allereffizientesten läuft der Fettstoffwechsel laut Experten beim sehr lockeren Nüchterntraining. Denn fastet man vorher mindestens sechs bis acht Stunden, sind die Reserven von Anfang an aufgebraucht. «Nüchterntrainings im individuell bestimmten Trainingsbereich sind sozusagen eine Abkürzung», erklärt Lorenz Leuthold. Er füllt deshalb meinen Trainingsplan mit drei solchen Pflichteinheiten pro Woche, die vor dem Frühstück rund 45 bis 60 Minuten in einem Tempo knapp unter meiner maximalen Fettverbrennungszone betragen sollen, konkret bei mir um die 125 Pulsschläge pro Minute. Hinzu kommen ein bis zwei längere Grundlagenausdauereinheiten, die ich mit gefüllten Kohlenhydratspeichern absolvieren darf (vgl. Kasten) und bei denen der Puls um die 135 Schläge sein soll. Ob zu Fuss oder auf dem Rad, spiele für den Stoffwechsel keine grosse Rolle, sagt Leuthold, sofern die spezifischen Pulsbereiche eingehalten würden.

Zwischen einer und drei Stunden

Was Joëlle Flück betont: «Trainiert jemand nicht gerade für einen Ultraevent, sollten Nüchterntrainings nicht länger als 60 bis maximal 120 Minuten dauern». Starte man hingegen mit gefüllten Speichern und führe aber während des Trainings keine Kohlenhydrate zu, könne das Training auch drei Stunden dauern. Andernfalls ermüde man den Körper in erster Linie und es bestehe sogar die Gefahr eines Übertrainings. Denn mangelt es an Kohlenhydraten, verbrennt man zwar Fett, greift aber auch die Muskelstruktur an und die Regenerationszeit verlängert sich. Gerade auch deshalb ist es wichtig, die Eiweisszufuhr unmittelbar nach solchen Trainings aufrecht zu erhalten oder gar hochzuschrauben.

Im Schneckentempo mit Puls 125

So schnüre ich nun regelmässig morgens um sechs Uhr meine Laufschuhe, mit nichts als einer Tasse Kaffee im Magen. Aus dem Bett zu kriechen, klappt mal besser, mal weniger gut. Was in den ersten zwei Monaten bleibt: Sobald ich losrenne, schnellt mein Puls in zu hohe Höhen. Den Blick auf die Uhr geheftet und penibel darauf bedacht, die Zahl nicht höher als 125 werden zu lassen, schaffe ich es kaum, Morgenspaziergänger mit ihren Hunden einzuholen – nach wirklichem Training fühlt sich das Tempo jedenfalls nicht an. Auch die langsamen Grundlagenausdauereinheiten, die ich meistens auf dem Rad absolviere, sind ein Kampf gegen die Pulsanzeige auf meiner Uhr. Und strapazieren aufgrund meines Schneckentempos die Geduld meiner jeweiligen Trainingspartner.

Radikale High-Fat-Methode

Vor allem im Spitzensportbereich hat sich in den letzten Jahren ein Lager gebildet, das die Fettverbrennung mit radikalen Methoden zu verbessern versucht. «Sinn macht das aber höchstens für extreme Ausdauerevents», sagt Joëlle Flück. «400-Meter-Läufer oder auch Halbmarathonsportler profitieren kaum.» Einer der bekannteren Verfechter ist der Schweizer Langdistanztriathlet Jan van Berkel: Seit gut drei Jahren feilt er an seinem Fettstoffwechsel. Sein jetziger Trainer, Dan Plews, ist grosser Anhänger der «Low-Carb-High-Fat»-Diät (LCHF). In einem Blogpost beschreibt der Neuseeländer den Weg, den van Berkel mit ihm seit 2016 geht. So verbesserte van Berkel in dieser Zeit seine maximale Fettoxidationrate bedeutend – von 0,7 auf 1,2 Gramm pro Minute. Allein auf der Ironman-Radstrecke, rechnet Plews vor, spare sein Athlet nun Kohlenhydrate, die der Menge von 17 bis 20 Gels entsprechen. Zwar purzelte die Ironman-Marathonbestzeit von van Berkel von zirka drei Stunden auf 2:45 Stunden. Doch ob dies tatsächlich an seinem gutem Fettstoffwechsel liegt und daran, dass er seine Speicher vor Trainings und Wettkämpfen vor allem mit Fetten und Eiweissen statt Kohlenhydraten füllt, ist wissenschaftlich äusserst umstritten. «Bisher zeigt keine kontrollierte Studie, dass die LCHF-Diät einen leistungssteigernden Vorteil gegenüber High-Carb darstellt», sagt Joëlle Flück. Lorenz Leuthold betont, dass Experimente wie solche von Jan van Berkel für Amateurathleten unsinnig seien. Denn Profitriathlet van Berkel habe nicht nur seine Ernährung radikal umgestellt, sondern auch sein Training entsprechend angepasst. «Die Umstellung braucht eine unglaublich enge Betreuung, wie sie sich ein Hobbysportler kaum leisten kann.» Vielmehr lohne es sich, mit spezifischen Trainings am Fettstoffwechsel zu arbeiten.

Tag der Wahrheit

In meinem Experiment habe ich mich daher vor allem auf das Training beschränkt. Erfolgserlebnisse erfahre ich trotzdem: Im dritten Monat merke ich, wie mir die frühmorgendliche Runde bedeutend leichter fällt, mein Lauftempo darf man nun fast schon Rennen nennen. Auch explodiert mein Puls nicht gleich, wenn ich mit dem Rad locker einen Hügel hinauffahren möchte. Sind das erste Anzeichen, dass mein Körper nun besser auf Fett läuft? «Wie lange es dauert, bis sich der Fettstoffwechsel verbessert, ist höchst individuell», sagt Lorenz Leuthold, doch in der Regel sollten sich nach gut drei Monaten signifikante Verbesserungen zeigen. Deshalb steht nun – 14 Wochen sind seit dem ersten Test vergangen – mein Kontrolltest an. Die Maske um den Kopf gebunden, beginne ich loszukurbeln. Mit 70 Watt starte ich, alle zwei Minuten nimmt der Widerstand zu. Bei 250 Watt keuche ich. «Eine Stufe geht noch», sagt Leuthold erbarmungslos und setzt nochmals ein paar Watt drauf. Bei 270 Watt bin ich fertig und versuche mit hochrotem Kopf nicht vom Rad zu fallen.

Währenddessen befreit mich Leuthold von der ungemütlichen Maske und lobt, dass ich tatsächlich 17 Watt mehr getreten habe als beim letzten Mal. Viel mehr als die absoluten Wattzahlen interessiert mich aber meine maximale Fettoxidationsrate. Erwartungsvoll blicke ich einige Minuten nach dem Test wieder auf die orangenen Balken auf dem ausgedruckten Testprotokoll. Und die zeigen: Meine maximale Fettoxidationsrate hat sich bei etwa gleichbleibendem Puls fast verdoppelt. Damit lassen sich offensichtlich auch meine besseren Wattwerte erklären: Weil ich bei tiefer Belastung Kohlenhydrate sparen konnte, waren diese bei hoher Belastung noch verfügbar. Ich juble, denn das frühe Aufstehen scheint sich doch tatsächlich gelohnt zu haben. Und ich nehme mir fest vor, künftig ein- bis zweimal die Woche den Tag mit einem lockeren Training einzuläuten.

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