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Die pflanzenbasierte Ernährung gewinnt immer mehr an Beliebtheit. Doch Sportler aufgepasst: Nicht alle Proteine besitzen dieselbe Wertigkeit.

Die pflanzenbasierte Ernährungsweise ist generell als sinnvoll einzustufen. Sie hat ein grosses entzündungssenkendes Potenzial und geht mit weniger Krankheiten einher.1,2 An den in der Ernährung erhöhten Anteil an pflanzlichen Proteinen gekoppelt ist eine reduzierte Einnahme an tierischem Protein. Damit gewinnt ein in der Forschung lange bekanntes Problem auf einmal an Bedeutung: Die mindere Wertigkeit von pflanzlichen Proteinen und ihre Folgen.

Bei einer gemischten Ernährungsweise mit Proteinen tierischen wie auch pflanzlichen Ursprungs ist dieses Problem eher von akademischem Interesse. Weil das Interesse an einer veganen oder stark pflanzenbasierten Ernährungsweise aktuell aber zunimmt, wird es zu einem realen Problem für die Gesellschaft. Denn gekoppelt mit weiteren Eigenschaften der pflanzlichen Proteine, die nicht gerne diskutiert werden, kann die mindere Wertigkeit von pflanzlichen Proteinen durchaus zu unerwünschten Folgen bezüglich Muskelerhalt oder Muskelaufbau führen. Betroffen sind vor allem Sporttreibende und ältere Menschen.

Fehlerhafter Proteingehalt

Den Proteingehalt eines Lebensmittels entnimmt man üblicherweise aus der Nährstoffdeklaration von Lebensmittelverpackungen oder aus Nährstofftabellen. Selbstverständlich geht man davon aus, dass diese Angaben korrekt sind. Für die meisten Lebensmittel ist dies aber nicht der Fall, weil der deklarierte oder gelistete Proteingehalt nicht von einer direkten Analyse des Proteins stammt.

In Europa und in der Schweiz schreibt das Lebensmittelgesetz in einer Muss-Verordnung vor: Der zu deklarierende Gehalt an Protein ist auf der indirekten Analyse des Stickstoffs zu ermitteln und der Proteingehalt anschliessend mittels eines Stickstoff-zu-Protein-Umrechnungsfaktors von 6.25 zu berechnen (1 g Stickstoff x 6.25 = 6.25 g Protein).3

Dieses Prinzip ist über 180 Jahre alt und nicht ganz falsch.4 Es basiert aber auf der Annahme, dass im Protein immer 16 % Stickstoff enthalten sind und so ein Gramm analysierter Stickstoff, der mit 100/16 multipliziert wird, immer einer Menge von 6.25 g Protein gleichkommt. Bei den meisten Lebens­mitteln führt diese Umrechnung aber zu einem Proteingehalt, der nicht dem wahren Gehalt im Lebensmittel entspricht.5

Pflanzliche Lebensmittel zu hoch

Weshalb sich der Umrechnungsfaktor von 6.25 etabliert hat, ist unbekannt. Aber bereits vor 90 Jahren war in der Forschung klar, dass die einheitliche Nutzung dieses Faktors für viele Lebensmittel einen Proteingehalt ergibt, der weit entfernt von der Realität liegt. Der Grund: Der Stickstoffgehalt im Protein schwankt von Lebensmittel zu Lebensmittel, und somit braucht man für jedes Protein einen unterschiedlichen Umrechnungsfaktor. Dies ist insbesondere für pflanzliche Lebensmittel von Bedeutung, denn neben dem variierenden Stickstoffgehalt im Protein existiert hier der Stickstoff auch in anderen Inhaltsstoffen. Daher ist bei den pflanzlichen Lebensmitteln der mit dem gewohnten Umrechnungsfaktor berechnete Proteingehalt einiges höher als ihr wahrer Gehalt.

Obwohl dies längst bekannt ist, ermittelt man den Proteingehalt immer noch nach dem 180-jährigen Analyseprinzip. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass dieses Prinzip wie eingangs erwähnt für die gesetzeskonforme Deklaration des Proteingehalts vorgeschrieben ist (eine andere Methode ist nicht erlaubt!) und sich Nährwerttabellen, wie in der Schweiz, oft aus «Kompatibilitätsgründen» dem Gesetz anpassen. Die Konsequenz dieser gesetzlichen Vorgaben ist, dass Konsumentinnen und Konsumenten bezüglich des Proteingehalts – insbesondere bei pflanzlichen Lebensmitteln – in die Irre geführt werden. Und genau dies zu verhindern, wäre eigentlich die Aufgabe des Gesetzes.

Angepasste Umrechnung nötig

Ebenfalls bereits vor 90 Jahren wurden lebensmittelspezifische Faktoren zusammengetragen, mit denen eine genauere Umrechnung des Stickstoffgehalts möglich wäre. Mittlerweile sind diese aufgrund der Einführung neuer Analysemethoden überarbeitet worden und neue Umrechnungsfaktoren liegen somit vor. Bei pflanzlichen Lebensmitteln schwanken die Faktoren zwischen 4.4 und 5.8; die aktuell trendigen Hafer-, Reis- und Erbsenproteine haben beispielsweise einen Faktor von 5.3.6

Der Umrechnungsfaktor von Proteinen tierischen Ursprungs ist generell höher als derjenige von Proteinen pflanzlichen Ursprungs, mit höchsten Werten bei den Milchproteinen, insbesondere dem Molkenprotein mit einem Faktor von 6.4.7 Da im Sport die Proteine häufig als Shakes eingenommen werden und hier Molkenprotein der Standard ist, bedeutet das Folgendes: Der Proteingehalt in einem Molkenprotein-Shake wird unterschätzt, es ist also mehr Protein enthalten als deklariert. Bei veganen Shakes ist es hingegen umgekehrt und der wahre Proteingehalt ist einiges tiefer als deklariert. Wer bei einem veganen Shake beispielsweise 25 Gramm anvisiert und diese gemäss Deklaration abwiegt, erhält nur 20 Gramm. Und diese 20 Gramm haben zudem eine geringere Qualität als das Molkenprotein; sie sind weniger biologisch wirksam.

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Unterschiedliche Verdaulichkeiten

Der Einsatz des korrekten Umrechnungsfaktors ist aber nur der erste von drei Aspekten bei der Beurteilung eines Proteins. Der Proteingehalt sagt nämlich noch nichts darüber aus, wieviel Protein im Darm aufgenommen wird und aus welchen Aminosäuren das Protein besteht. Die biologische Verfügbarkeit, auch Verdaulichkeit genannt, ist wie bei den Umrechnungsfaktoren von Lebensmittel zu Lebensmittel unterschiedlich und hängt zusätzlich stark von der Art der Verarbeitung des Lebensmittels ab. Als Beispiel: Die Verdaulichkeit beim Kartoffelprotein beträgt bei Chips 47 %, bei gedämpften Kartoffeln 58 % und bei Kartoffelproteinkonzentraten um die 85 % bis 90 %, also fast doppelt so viel wie bei Chips.8

Bezogen auf Lebensmittel im natürlichen Zustand – also nicht bezogen auf Proteinkonzentrate oder -isolate – ist ähnlich den Stickstoff-Umrechnungsfaktoren die Proteinverdaulichkeit von pflanzlichen Lebensmitteln geringer als diejenige von tierischen Lebensmitteln. Aber ihre Variation ist mit knapp 50 % bis 90 % dermassen gross, dass auch hier nur eine lebensmittelspezifische Betrachtung eine saubere Aussage ermöglicht. Pflanzliche Proteinkonzentrate oder -isolate haben in der Regel eine den tierischen Proteinen ähnliche Verdaulichkeit. Aber da ihre Qualität niedriger ist als die von tierischen Proteinen, «verbessert» dies die allgemeine Beurteilung von pflanzlichen Proteinen nicht besonders.

Ebenfalls wichtig: Aminosäuren

Ein letzter und manchmal ausschlaggebender Faktor für die Beurteilung der Proteinqualität ist die Zusammensetzung seiner Aminosäuren.9 Für die Wirksamkeit eines Proteins im Stoffwechsel sind sowohl der Gehalt an Leucin als auch die Summe aller essenziellen Aminosäuren im Protein massgebend.10 Und auch hier schneiden die pflanzlichen Proteine generell schlechter ab als Proteine tierischen Ursprungs. Im Vergleich zum Molkenprotein, bei dem eine maximale Proteinsynthese nach dessen Einnahme wiederholt gemessen wurde, braucht es für die gleiche Menge an Leucin oder essenziellen Aminosäuren (zum Beispiel im Falle von Hanf- oder Lupinenprotein) bis doppelt so viel Protein pflanzlichen Ursprungs.11 Kombinationen verschiedener pflanzlicher Proteine können diesen Zustand zwar etwas verbessern, sie kommen aber dennoch nicht an die Qualität tierischer Proteine heran.

Wertigkeit höchst unterschiedlich

Die Beurteilung der physiologischen Wirkung eines Proteins erfolgt oft allein aufgrund der Menge an Protein, die auf Verpackungen deklariert oder in Nährstofftabellen aufgeführt ist. Ausschlaggebend ist aber, was der Körper erhält und was er damit anstellen kann. Der Unterschied zwischen dargestelltem und wirksamem Proteingehalt kann bei Berücksichtigung der drei dargestellten Aspekte für die Beurteilung der Proteine enorm sein. Dies ist im Falle von pflanzlichen Proteinen häufig der Fall und nachfolgend für die Erbse exemplarisch dargestellt.

Erbsen gehören zu den Hülsenfrüchten und werden oft aufgrund ihres Proteingehalts gepriesen. Führt man bei den Erbsen die oben dargestellte, komplexe Beurteilung der Proteinqualität durch, zeigt sich ein anderes Bild. Die biologisch äquivalente Menge zu 25 Gramm Molkenprotein – entsprechend der Zielmenge an Protein in einer Mahlzeit – liegt erst in etwa einer Menge von 60 Gramm deklariertem Erbsenprotein vor. Oder anders ausgedrückt: Die gesetzlich deklarierte Proteinmenge ist bei der Erbse mit einem Faktor von 2.4 zu multiplizieren, um eine Wertigkeit wie im Falle des Molkenproteins zu erzielen.

Praktische Tipps

Proteine sind im sportlichen Alltag von grosser Bedeutung. Bei einer gemischten Kost wird die mindere Wertigkeit der pflanzlichen Proteine in der Regel durch die hochwertigen tierischen Proteine kompensiert. Wer Wert auf eine stark pflanzenbasierte Ernährung legt, muss von pflanzlichen Proteinen mehr essen für die gleiche Wirkung. Die Gretchenfrage ist nur, wieviel mehr?

Wer es genau wissen will, sollte eine genaue Prüfung der Proteinwertigkeit ins Auge fassen. Sonst läuft er oder sie Gefahr, die Erfolge der Trainingsbemühungen zu kompromittieren, da die Ernährung in Kombination mit Sport meist den Aspekt eines Muskelaufbaus oder -erhalts beinhaltet.

Die allgemein verfügbaren Informationen zum Proteingehalt der Lebensmittel reichen für eine seriöse Beurteilung der Proteinqualität nicht aus. Da der wahre Proteingehalt, die Verdaulichkeit und der Gehalt an essenziellen Aminosäuren sowie an Leucin für jedes pflanzliche Protein verschieden sind, ist eine spezifische Beurteilung für jedes Pflanzenproteins erforderlich. Zusammenstellungen über die äquivalente Wirkung der verschiedenen Proteine existieren aber bislang nicht. Daher gibt es für einmal als Tipp zur Selbsthilfe nur die Empfehlung, eine spezialisierte Fachperson aufzusuchen, damit diese die Wertigkeit der einzelnen Proteine ganz genau bestimmen kann.

Ernährungs-Experte Dr. Paolo Colombani ist wissenschaftlicher Berater mit eigener Firma.

Quellen:

  1. Watzl B. Int. J .Vitam. Nutr. Res., 2008; 78: 293–8
  2. Jafari S et al. Crit. Rev. Food Sci. Nutr., 2021: In Druc
  3. Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Departement des Innern (EDI). Verordnung des EDI betreffend die Information über Lebensmittel (LIV) vom 16.12.2016 (Stand am 1. Juli 2020
  4. Mulder GJ. Natuur en Scheikundig Archief, 1838; VI: 87–16
  5. Jones DB. Factors for converting nitrogen in foods and feeds into percentages of protein, Circular No. 183, Slightly revised 1941. Washington, 193
  6. Mariotti F et al. Crit.Rev.Food Sci.Nutr., 2008; 48: 177–8
  7. Maubois J-L, Lorient D. Dairy Sci. Technol., 2016; 96: 15–2
  8. FAO. Report of a Sub-Committee of the 2011 FAO Consultation on “Protein Quality Evaluation in Human Nutrition” on: The assessment of amino acid digestibility in foods for humans and including a collation of published ileal amino acid digestibility data for human foods. Rome, 201
  9. Food and Agriculture Organisation. Dietary protein quality evaluation in human nutrition: Report of an FAO expert consultation, 31 March-2 April, 2011, Auckland, New Zealand. FAO Food and Nutrition Paper, Vol 92. Rome: Food and Agriculture Organization of the United Nations, 201
  10. Witard O et al. Nutrients, 2016; 8: 181
  11. Gorissen SHM et al. Amino Acids, 2018; 50: 1685–95

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